Oft vernimmt man deutsche Rückgriffe auf die Weisheit, man solle über den Tellerrand hinausschauen. Und doch handeln diejenigen, die dies tun nach eigenem Gutdünken, ohne vom anderen zu lernen. Dies gilt besonders für das Thema Integration der zugewanderten Muslime. Die Frage lautet, ob diese als Kollektiv einer Minderheit oder als Individuen in die Aufnahmegesellschaft integriert werden. Zwar hinkt der hier bemühte Vergleich mit Indien an der Tatsache, dass die indischen Muslime im Gegensatz zu den in Europa lebenden Muslimen authentische Inder, also keine Zuwanderer sind. Dennoch ist der Vergleich politisch zulässig in Bezug auf die Stellung der Muslime in der Gesellschaft: als Individuen oder als Minderheit. Die indischen Islam-Funktionäre lehnten das Citoyen-Modell der Congress Party von Nehru und Gandhi mit Verweis auf die islamische Identität ab, die im Widerspruch zur Hindu-Mehrheit wiederum als Kollektiv steht. Doch ist Indien säkular, keine Hindu-Staat. Diesen Islam-Funktionären ist es in Indien gelungen, Minderheitenrechte für die Muslime, so z.B. Muslim Personal Law der Scharia, durchzusetzen. Das Ergebnis ist katastrophal. Hindu-Nationalisten haben diese Sonderstellung der Muslime ausgenutzt, um gegen die Herrschaft der Congress Party zu mobilisieren, die den Muslimen diese Sonderrechte gewährte. Seit 2014 regiert die Partei dieser Hindu-Nationalisten namens BJP.
In seiner Analyse dieser Problematik in der Basler Zeitung vom 14.12.2017 entfaltet B. Tibi sein Argument, dass Indien nicht nur kein Modell für Minderheitsrecht muslimischer Zuwanderer nach Europa bietet, sondern auch eine Warnung vor einer ähnlichen Entwicklung wie in Indien sei. Wenn europäische Regierungen Muslimen Minderheitenrechte gewähren, werden rechte Parteien und Bewegungen in Europa vergleichbar der BJP in Indien mobilisieren und Wählerstimmen für sich gewinnen. Als Gegenmodell bietet B. Tibi die Integration als Citoyen mit individuellen Bürgerrechten.